Stellungnahme des DHV zur sachlich unrichtigen Kritik an den Änderungen der Zuchtwertschätzung

Allgemeine News

1.    Wissenschaftliche Grundlagen und Entscheidungen in der PraxisDie Änderungen der ZWS wurden in den vergangenen zwei Jahren in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und dem VIT in den Gremien des DHV diskutiert und erarbeitet. Grundlage waren zwei wissenschaftliche Arbeiten an den Tierzuchtinstituten Göttingen und Halle, die im Auftrag und in fachlicher Begleitung der Zuchtorganisationen durchgeführt wurden. Die Semex-Aussage, dass „Theoretiker“ diese Entscheidungen herbeigeführt hätten, ist ein Beleg dafür, dass entweder Semex-Deutschland die Entscheidungswege für die ZWS Exterieur in Deutschland nicht kennt oder bewusst unsachlich und populistisch argumentiert. Die Auftraggeber für die ZWS Exterieur sind die deutschen Zuchtverbände. Alle Änderungen wurden basierend auf wissenschaftlichen Untersuchungen der Tierzuchtinstitute Göttingen und Halle sowie begleitenden Auswertungen des Rechenzentrums VIT entsprechend der deutschen Zuchtzielsetzung durch die DHV-Mitgliederversammlung beschlossen.   2.    Das VIT ist eine unabhängige Organisation, die als Dienstleister die Zuchtwertschätzung im Auftrag der zuständigen Behörden oder der Zuchtverbände (für die Merkmale Exterieur, für die Zusammensetzung der Relativzuchtwerte sowie für den Gesamtzuchtwert) durchführt. Die Rechenmodelle und Ergebnisse werden den zuständigen Institutionen transparent für Überprüfungszwecke vorgelegt. Ähnlich ist es in vielen anderen Ländern wie z. B. auch in Kanada. Allerdings bedient das VIT viele konkurrierende Zuchtprogramme, während zum Beispiel das kanadische Rechenzentrum CDN nur einen großen Kunden aus der Zuchtindustrie, nämlich Semex, hat!   Neben diesen grundsätzlichen Bemerkungen soll im Folgenden zu den fachlichen Aussagen der Zuchtwertschätzung Stellung genommen werden. Es hat zugegebenermaßen viele Änderungen in der Zuchtwertschätzung vom April 2008 gegeben. Diese sind durch wissen­schaftliche und fachliche Erkenntnisse der vergangenen zwei Jahre jetzt in einem Schritt umgesetzt und im Zusammenhang mit einer Anpassung des Zuchtzieles eingeführt worden.   3.   Änderung der Standardisierung der ExterierurzuchtwerteDie Standardisierung der Exterieurzuchtwerte wurde angepasst. Die Relativzuchtwerte werden jetzt auch wie alle anderen Merkmale auf die genetische Streuung standardisiert und sind dadurch etwas niedriger. Diese „optische“ Änderung führt zwar bei allen extremen Exterieurzuchtwerten zu niedrigeren Zahlen, (was vorher 112 Punkte war, ist heute 108-109) aber nicht zu Rangfolgeveränderungen. Zukünftig werden also Exterieurzuchtwerte jenseits der 140 nicht mehr regelmäßig vorkommen, sondern die Spitze wird wie bei allen anderen Merkmalen bei 136 bis 140 liegen. Wenn also die besten Exterieurvererber nur noch Werte in diesem Bereich haben, sind sie nicht etwa schlechter geworden, sondern diese Zahlen sind jetzt nur direkt mit den anderen Merkmalen vergleichbar. Der mit Abstand größte Teil der Zuchtwertänderung beruht hierauf. Dies ist allerdings von den o. g. Spermaimporteuren nicht erwähnt worden. Auch die jährliche Basisanpassung, die zu einer durchschnittlichen Verringerung der Exterieurzuchtwerte um 0,5 – 1,5 Punkte geführt hat, bleibt unerwähnt.   4.    Kappung der Dimensionsmerkmale Größe, Stärke und KörpertiefeNeuere wissenschaftliche Untersuchungen in Deutschland und auch in anderen wichtigen Holsteinländern zeigen deutlich, dass extreme Ausrichtungen in den Dimensionsmerkmalen „Größe“, Stärke“ und „Körpertiefe“ einen negativen Einfluss auf die Funktionalität und damit auf die Nutzungsdauer der Tiere haben. Das heißt, dass sowohl kleine als auch sehr große Tiere, sehr schwache und sehr starke Tiere sowie Tiere mit wenig oder aber mit viel Körpertiefe ein kürzeres produktives Leben aufweisen als Tiere mit mittleren Dimensions­merkmalen. Insofern ist die „Kappung“ dieser Zuchtwerte ab 112 Punkten ein Kompromiss: ab einer Standard­abweichung über dem Durchschnitt erhalten Bullen keine weiteren Zuschläge so wie früher bei rein linearer Betrachtung (je größer, tiefer, breiter, desto besser), obwohl man nach wissenschaftlichen Erkenntnissen diesen Bullen sogar einen Abschlag geben sollte, da sie eine schlechtere Nutzungsdauer als Bullen mit durchschnittlichem Zuchtwert haben. Dennoch ist deutlich darauf hinzuweisen, dass wir trotz dieser Kappung in den genannten Merkmalen weiterhin Zuchtfortschritt bei reiner Selektion nach dem RZE erzielen!   5.    Milchcharakter und Beckenbreite werden nicht gekappt! Die Behauptung von WWS Germany, dass Milchcharakter und Beckenbreite gekappt wurden, ist falsch.   6.    Gute Körperbullen sind auch zukünftig zu erkennenDie höchsten echten Körperbullen stehen nach der alten und nach der neuen Formel oben. Lediglich die Unterschiede zwischen den Bullen sind aufgrund der geänderten Standardisierung und Kappung etwas geringer geworden. Behauptungen, dass echte Körperbullen nicht mehr zu erkennen sind, sind falsch.In diesem Zusammenhang sei noch einmal betont, dass den Züchtern nach wie vor die Zuchtwerte aller Einzelmerkmale zur Verfügung stehen. Sie zeigen die Stärken und Schwächen der Bullen und sind dadurch sicherlich für die Anpaarungssentscheidungen von größerer Bedeutung.   7.    Fundament jetzt zusätzlich mit dem Linearmerkmal „Bewegung“Zusätzlich wird das lineare Merkmal „Bewegung“ im Fundament berücksichtigt. Dadurch ergeben sich zum Teil andere Werte im Fundamentindex. Obwohl wir von ausländischen Bullen in diesen Merkmalen keine Interbull-Informationen erhalten, schätzt das VIT über die Korrelationen zu vorhandenen Merkmalen die bestmöglichen Parameter und setzt nicht willkürlich 100 ein, so wie andere Länder es machen.   8.   Änderung der Merkmalsgewichtungen im Exterieurzuchtwert RZEZukünftig wird im RZE eine geringere Gewichtung für Milchtyp (-5%) und eine stärkere Gewichtung des Fundaments (+5%) vorgenommen. Dieses ist bewusst als Ausdruck der veränderten Zuchtzielsetzung so beschlossen, da Milchcharakter eine negative Beziehung zur Nutzungsdauer hat und das Fundament weiter in unserer Population verbessert werden soll. Wir brauchen Milchcharakter nicht mehr zur Zucht auf Leistung. Wir definieren 'gutes Exterieur' bewusst angepasst und anders als Nordamerika, nämlich dass das Fundament mit 30% im RZG mindestens genauso wichtig ist wie Kapazität (20%) und Milchtyp (10%).  

9.    Berücksichtigung des Exterieur im Gesamtzuchtwert (RZG)

Es gibt kein anderes Land, das - so wie bisher Deutschland - das Gesamtexterieur auch in der gleichen Form im Gesamtzuchtwert berücksichtigt hat. Dieses ist jetzt auch bei uns geändert worden, da der RZG noch stärker auf Fitness und Nutzungsdauer ausgerichtet wurde. Daher gehen vom Exterieur nur noch der Fundament- und der Euterindex in den Gesamtzuchtwert ein. Daneben bleiben der RZE sowie die Indices der Merkmalskomplexe Milchtyp, Körper, Fundament und Euter aber bestehen und stehen als Selektionskriterien voll zur Verfügung. Hier stehen den Züchtern also nach wie vor alle Selektionsmöglichkeiten offen.   Es ist für uns mehr als verwunderlich, dass Spermaimportorganisationen derart populistisch zu den zuchtpolitischen Entscheidungen der deutschen Holsteinzucht Stellung beziehen und ihre Kunden zum Teil fachlich falsch informieren. Dieses scheint ein neuer Stil zu sein, um sich im Wettbewerb zu behaupten. Daher sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, wie man in anderen Ländern wohl reagieren würde, wenn dort deutsche Spermaexportfirmen in ähnlicher Weise zuchtpolitische Entscheidungen kommentieren würden?   Besonders interessant wird die gesamte Angelegenheit noch durch einen aktuellen Beitrag des wissenschaftlichen Beraters von Semex-Deutschland, Dr. Eckhart Grünhagen, der sich zunächst erläuternde Informationen schriftlich beim DHV eingeholt hat. Einige Informationen werden dennoch nicht korrekt wieder gegeben. Worum es Dr. Grünhagen geht wird schnell deutlich, wenn man sein erstes Statement „10% Töchterfruchtbarkeit im RZG erscheinen mir zu hoch“ mit der Veröffentlichung in der aktuellen Semex-Zeitung vergleicht (s. Nr. 1, Februar 2008, S. 3.Die neue LPI-Formel). Genau darin wird die Wichtigkeit der Fruchtbarkeitsmerkmale betont. Durch den größeren Stellenwert dieses Merkmalskomplexes wurde das Gewicht im kanadischen Gesamtzuchtwert LPI jetzt auf 10% erhöht!     Bonn, 14. April 2008Deutscher Holstein Verband e. V. (DHV)